Die Verleihung des Deutschen Buchpreises an Sasa Stanisics „Vor dem Fest“ auf der Buchmesse in Leipzig hat der Uckermark großes Interesse beschert.
Grund genug für mich, eine Bewertung dieses preisgekrönten Uckermark-Kaleidoskops vorzulegen.
Basisinformationen
Titel: Vor dem Fest
Autor: Sasa Stanisic
Verlag: Luchterhand / Random House
Auflage: 2014
Seiten: 316
ISBN: 978-3-630-87243-8
Preis: 19,90 €
Buchbesprechung
Der 1978 im ehemaligen Jugoslawien geborene Autor Sasa Stanisic ist im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland geflohen und hat mit Wie der Soldat das Grammofon repariert ein beachtliches Erstlingswerk vorgelegt. Mit „Vor dem Fest“ hat er es schließlich zu nationaler Anerkennung gebracht – das Werk erhielt den Deutschen Buchpreis in Leipzig.
Der Roman schildert das Leben im fiktiven Dorf Fürstenfelde in der Uckermark. Viele Leser meinen in Fürstenfelde den Ort Fürstenwerder zu erkennen, auf den die im Buch beschriebene Geographie nahezu deckungsgleich zutrifft. Der Ort liegt in Nähe von Woldegk (das neben Neubrandenburg einer der oft genannten, realen Orte ist), auf einer Landenge zwischen zwei großen Seen. Diese Seen sind im Buch häufig vorkommende Motive.
Fürstenfelde und seine kauzigen Einwohner stehen mitten in den Vorbereitungen zu „ihrem“ Fest. Das ist die Rahmenhandlung des Buches. Das Fest ist eigentlich nichts Besonderes. Der historischem Ursprung und die Tradition sind irgendwann auf der Strecke geblieben oder in Vergessenheit geraten, aber für die verbliebenen Einwohner eines der letzten, sie verbindenden Events.
Fürstenfelde ist, und das kann man so sagen, ein typisches Verliererdorf der nun schon 25 Jahre andauernden Nach-Wende. Die 7 oder 8 Gaststätten und Kneipen haben alle dichtgemacht – sein Bier nimmt man jetzt ganz offiziell in einer Garage ein. Es gibt den unvermeidlichen (West)Berliner, der das alte Gutshaus aufgekauft hat und damit den wirtschaftlichen Erfolg sucht. Das Haus der Heimat mit seinem Dorfgeschichtsverein stellt die Verbindung zwischen Vergangenwart und Gegenwart her.
Stanisic hat ja im Vorfeld ausgiebig recherchiert; und er hat genau hingesehen. Auch wenn seine Schilderungen in ihrer gepflegten Melancholie manchmal etwas übertrieben erscheinen – die hier erzeugten Stimmungen und Gefühlsbilder dürften jedem Uckermark-Kenner bekannt vorkommen. Wobei, bis auf gewisse Landschaftsschilderungen und die von der Berliner Mundart geprägten wörtlichen Rede muss man die Handlung nicht unbedingt in der Uckermark verorten. Das könnte jeder ländlich geprägte Raum der ehemaligen DDR sein. Auch sind die handelnden Personen durch ihre etwas mundfaule Art dem Uckermärker nachempfunden, könnten sich aber auch in der Prignitz, der Lausitz oder anderswo wiederfinden. Bei vielen Figuren gelingt die Charakterzeichnung. Der ex-NVA Oberstleutnant Herr Schramm, der aus Verdrossenheit auf einen Zigarettenautomaten feuert, der Landwirt und Schweinezüchter, der von einem Urlaub in Alaska träumt, der Garagenbesitzer und Kneipier, der so etwas wie der letzte Leuchtturm des gesellschaftlichen Lebens in Fürstenfelde ist – ihre Biographien sind glaubwürdig und kommen einem auch irgendwie vertraut vor.
Figuren wie der kürzlich verstorbene Fährmann, der Glöckner und die Malerin wirken dagegen wie aus der Zeit gefallen. Sie sind wahrscheinlich so etwas wie Boten oder Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Sozusagen ein Blick weit, weit zurück in die gute, alte Zeit, als alles noch bedächtig und in geordneten Bahnen ablief. Mit diesen Figuren, auch wenn vor allem die Malerin mit ihren 90 Jahren eine erfrischende Lebenseinstellung hat, komme ich nicht so ganz zurecht. Das schließt den Glöcknerazubi Johannes mit ein.
Das Buch lebt von der verspielten Prosa, was auch den Ausschlag für die Verleihung des Deutschen Buchpreises gegeben hat. Es ist interessant zu lesen, zu welchen Ergebnissen es führt, wenn ein nicht-Muttersprachler wie Stanisic die deutsche Sprache und ihre Möglichkeiten erkundet und nutzt. Soviel Begeisterung und Faszination für unsere Sprache bei einem Autor zu sehen, für den sie bis zu seinem 14. Lebensjahr ein Mysterium war – das ist schon beeindruckend. Und man schämt sich auch etwas, wenn man so manche Sprachvergewaltigung unserer heutigen Jugend auf Facebook, Twitter oder andernorts liest und hört. Stanisic breitet einen sprachlichen Gefühlsteppich aus, auf dem nicht immer leicht zu gehen ist. Sein Verständnis der deutschen Sprache ist barocker. Satzstellungen und -konstruktionen ergeben oft erst einen Sinn, wenn man langsam oder zweimal liest. Vieles wirkt altertümlich. Die eingestreuten historischen Berichte scheinen ihm besonders Freude bereitet zu haben. Mal ganz davon abgesehen, dass sie vor Absurditäten nur so triefen. Besonders der ansässige Adel (meistens ein Graf Poppo von Blankenburg) gerät in brenzlige und haarsträubende Situationen. Die Passagen über die Füchsin (die Fähe) überlese ich geflissentlich. Die hätte das Buch nicht benötigt. Das buche ich unter künstlerische Freiheit ab.
Während das Buch von der Prosa lebt, ist die Botschaft abhanden gekommen. Unter der Prosa verschüttet, sozusagen. Da kann sich jeder herauslesen was er möchte, bzw. zu was er interpretativ fähig ist. Stanisic baut hier nichts ein, was die Handlung vorantreibt. Es gibt auch bis auf den Rahmen keine Geschichte, die unbedingt erzählt werden muss. Die Kapitel kann man auch ruhig durcheinander lesen. Zwar wird hier und dort auch einmal auf Ereignisse aus anderen Abschnitten Bezug genommen, aber dies nur äußerst lose und wenn ja, dann so, dass es das erzeugte Stimmungsbild nicht beeinflusst. Hier fügt sich nichts zusammen, was einerseits beabsichtigt sein oder daran liegen kann, dass Stanisic kein Romancier ist.
Wenn man hier einen Krimi oder eine konkret erzählte Handlung erwartet, wird man enttäuscht werden. Wenn man das Ganze als Sammelsurium von Empfindungen, Situationsschilderungen (köstlich: der Brief an den amerikanischen Präsidenten, von zwei jugoslawischen Hilfsarbeitern der Schweinezucht geschrieben) und persönlichen Schicksalen (hier sticht der bereits erwähnte Herr Schramm deutlich hervor) aus einer zurückgezogenen Region liest, wird man begeistert sein.
Der Autor hat einen sehr ironisch daherkommenden Humor in das Buch gebracht. Sehr oft geht dieser Humor unversehens in eine Tragik über, was meiner Meinung nach nicht immer glaubhaft geschieht. Bei den echten Uckermärkern erfolgt so etwas auf viel banalere Art und Weise. Nicht so fein ausziseliert und bedeutungsschwer wie bei Stanisic. Die Beschäftigung mit den Fragen des Alltags (Herr Schramm fragt sich bei den sexy sport clips im deutschen Sportfernsehen, ob die leicht bekleidete Dame überhaupt Ahnung vom Billardspiel hat oder das ganze wirklich nur als Staffage für ein billiges Nackedeifilmchen benutzt wird) und Lebens ist hingegen wieder typisch für den Nordostdeutschen.
Wahrscheinlich gibt es sogar eine spezielle Bezeichnung oder Gattungsbegriff, für das, was Stanisic hier vorgelegt hat – aber wenn, dann kenne ich sie nicht. Das ist auch nicht so wichtig, denn auch wenn es kein Roman in dem Sinne ist, bietet „Vor dem Fest“ ausreichend Unterhaltung und Lesevergnügen.
Fazit
Endlich hat auch die Uckermark eine preisgekrönte Veröffentlichung neueren Datums bekommen. „Vor dem Fest“ zeichnet tragikomisch ein kleines Sittengemälde über das Dorf Fürstenfelde, das stellvertretend für viele Orte in Brandenburg, aber auch Mecklenburg-Vorpommern steht. Eine Verlegung der Handlung oder ein Austausch der Charaktere ist ohne Weiteres möglich. Wenn auch die Handlung manchmal den roten Faden verliert, zieht einen die Sprache und der Witz wie zum Ausgleich wieder in den Bann zurück. Stanisic entgeht durch seine bosnische Herkunft dem Vorwurf der Befangenheit und Voreingenommenheit, weshalb er in ironischer aber nicht respektloser Manier die vielen kleinen Schwächen seiner Protagonisten aufs Korn nehmen darf.
Von dieser Literatur darf es ruhig mehr geben. Daumen hoch.